Produktivität steigern

Produktivität steigern

Kohleabbau 1990

Produktivität
Beispiel: Zeche-Auguste-Victoria in Marl

Der Kohlebergbau steht seit vielen Jahren in der Kritik, nicht mehr dem internationalen Wettbewerb standhalten zu können. Die Politik subventioniert seit geraumer Zeit den Kohleabbau in Deutschland und strebt die schrittweise Schließung von Bergwerken an.  Ein Bergwerk steht besonders unter Beobachtung, hier ist die Produktivität, gemessen an vergleichbaren Gruben, besonders niedrig. Die hier geförderte Kohle hat aber eine spezielle Qualität, für die es Bedarf gibt. Der bisherige Werksdirektor ist vor Kurzem in den Ruhestand gegangen. Für die kommende Phase, bis zu einer eventuellen Schließung, wurde ein neuer Direktor eingesetzt. Er erhält jedoch die Chance, zunächst mal die Ursachen für die niedrige Produktivität zu finden und erforderliche Maßnahmen zu ergreifen. Der Auftrag lautet: Produktivität steigern.

Mir wird die Möglichkeit geboten, bei diesem Prozess aktiv mitzuwirken. Vom Bergbau habe ich bis heute keine Ahnung – aber das soll sich ändern.

Glück auf

Es beginnt mit einem ersten Treffen zwischen dem Direktor, Herrn Schulz und mir zu einem für mich ungewöhnlichen Termin. Fünf Uhr morgens im Büro von Herrn Schulz. Mein „guten Morgen“ wird mit einem schneidigen „Glück auf“ beantwortet. Wir beschnuppern uns.
Mir wird klar, dass ich es mit einem Mann zu tun habe, der klare Ansagen schätzt und ebensolche Antworten wünscht. Aber ich verstehe auch, dass dieses Prinzip der Kommunikation sein Vorgänger im Amt des Direktors, übertrieben haben muss. Führung erfolgte ausschließlich durch persönliche Anweisungen des Chefs und das in der Regel vor Ort – unter Tage. Da eigenständiges Entscheiden und Handeln von durchaus gut bezahlten Führungskräften nicht erwünscht war, warteten täglich viele Arbeitskräfte auf die Anweisungen des Direktors – und bis der, in der weit verzweigten Grube überall vorbeikam, verging viel Zeit. Herr Schulz, der Neue, will das verändern. Er muss die Produktivität steigern.

Unter Tage

Jetzt wird mir klar, dass ich meine nicht einmal theoretischen Kenntnisse des Kohlebergbaus sofort auch in praktischer Anschauung erwerben soll. Das werte ich als Akzeptanz.
Nach kurzer Zeit und vielen „Glück auf“ bin ich schon umgezogen und trage jetzt eine noch saubere Bergmannskluft. Kurz darauf geht es, gemeinsam mit vielen anderen, unter Tage. Zwölfhundert Meter unter der Oberfläche steigen wir auf der untersten Sohle aus und wollen mit der Grubenbahn weiter zum Streb, dorthin wo Kohle abgebaut wird, fahren.

Grubenbahn oder wandern

Produktivität durch Grubenbahn
Beispiel: Grubenbahn

Nun, das wusste ich noch nicht, die Erde hält nicht still da unten. Der Berg arbeitet – vielleicht auch gegen den dort wühlenden Menschen. Die Sohle ist von unten aufgebrochen, ist etwas  angehoben. Somit sind die Schienen der Grubenbahn versunken bzw. auseinandergedrückt und eben nicht mehr befahrbar. Da die Mitarbeiter vor Ort für das Fahren der Bahn zuständig sind, können Sie nichts tun, außer die Ankommenden darüber zu informieren, zu Fuß gehen zu müssen. Schulz gibt die Anweisung, für Abhilfe zu sorgen. Schon hier lässt sich Produktivität steigern.

An diesem Tag erlebe ich Vieles, das ich später für meine Arbeit benötige. Wir wandern mit vielen anderen etwa fünf Kilometer unter Tage bis zum Abbaubereich. Das nimmt schon bald eine Stunde in Anspruch. Im Kopf registriere ich, dass es sich für die anderen um bezahlte Arbeitszeit handelt – nicht um einen Wanderausflug. Ich erlebe den Kohleabbau und lerne auch den „Alten Mann“ persönlich kennen, den durch Abbau entstandenen Hohlraum, hinter den Schildern im Streb.

Führung, Zusammenarbeit und Verantwortung

Eine wichtige Situation erlebe ich immer wieder aus Diskussionen zwischen dem Bergwerksdirektor und seinen Leuten. Zusammenarbeit ist ein Fremdwort. Führung vor Ort findet kaum statt. Die anderen sind immer schuld und jeder versucht sich zu rechtfertigen. Verantwortung ist unbekannt. Mir kommt bei diesen Erlebnissen der Auftrag in den Kopf: Produktivität steigern.

Schilder und Schrammaschine
Beispiel: Kohleabbau

Grundsätzlich sind drei Bereiche, Abteilungen, zu unterscheiden. Da gibt es den bergmännischen Bereich, das sind die, die den eigentlichen Kohleabbau betreiben. Außerdem gibt es den Maschinen Bereich. Hier arbeiten Leute, die mit entsprechender Qualifikation die Maschinen warten und reparieren und alles das machen, was mit den Maschinen zu tun hat. Als dritter Bereich ist der der Elektriker zu nennen. Es gibt eine Menge an Elektrik unter Tage, diese Leute sind dafür verantwortlich. Bei allen Arbeiten ist darauf zu achten, dass niemals Funken entstehen. Das könnte zur Katastrophe führen.
Mir fällt auf, dass die drei Bereiche vorrangig damit beschäftigt sind, die Schuld für Pannen und Ausfälle den jeweils anderen in die Schuhe zu schieben.

Ergebnis

Hier kürze ich jetzt ab. Es bleibt nicht bei dem einen Mal unter Tage für mich.

Wir veranstalten  für alle Führungskräfte, über alle Ebenen, zweitägige Workshops in einem Hotel. Voraussetzung ist, dass immer die Leute aller Bereiche (Bergleute, Elektriker, Maschinisten), die tatsächlich unter Tage zusammenarbeiten müssen, am gleichen Workshop teilnehmen. Da kommen manchmal Menschen zusammen, die sich spinnefeind sind. Dieser Prozess dauert fast ein Jahr, bis alle Betroffenen diesen Workshop durchlaufen haben.

Über das Ergebnis freuen sich alle – auch ich. Die Produktivität verbessert sich im Laufe dieses Jahres und darüber hinaus ständig – ja diese Grube entwickelt ihre Produktivität an die Spitze der vergleichbaren Betriebe.

Doch lange währt diese Freude nicht mehr. Wenig später wird dieses Bergwerk geschlossen – aus politischen Gründen und nicht wegen der schlechten Leistung.

Lesen Sie dazu auch:

Die Zeit: Kohlebergbau Ende
Die Welt: Das stille Sterben
Planet Wissen: Steinkohlebergbau
Spiegel-Online: Schicht im Schacht

 

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